Übersetzungen in Erbsachen

von | 1. Dez 2022

Es ist noch dunkel, als ich um 07.30 Uhr in Hamburg ins Flugzeug nach München steige. Ich freue mich auf einen Dolmetschereinsatz in München in einem internationalen Erbfall.

Dem vorausgegangen waren mehrere Telefongespräche mit den Erben in Frankreich sowie der mit ihnen von München aus geführte Schriftverkehr. Die Übersetzungen des Schriftverkehrs sowie die Telefonate hatte in Absprache mit dem auf Erbrecht spezialisierten Fachanwalt ich übernommen.

Mit Übersetzungen im Erbrecht war ich in der Vergangenheit schon mehrmals beauftragt worden. Auch stand ich eine Zeit lang einer auf Erbrecht spezialisierten Fachanwältin zur Seite, die in diesem Bereich ein Diplom in Frankreich abgelegt und ihre Doktorarbeit teilweise in französischer Sprache verfasst hat. Gemeinsam recherchierten wir die jeweiligen Fachbegriffe vor dem Hintergrund der Unterschiede zwischen dem französischen und dem deutschen Erbrecht.

Dementsprechend enthusiastisch war ich, als der jetzige „Fall“ an mich herangetragen wurde: Der Erblasser war in Deutschland verstorben – allein, ohne Abkömmlinge und ohne ein Testament oder irgendeine Verfügung von Todes wegen zu hinterlassen.

Abwicklung eines internationalen Erbfalls

Bei einer derartigen Sachlage bestimmt das Nachlassgericht einen Nachlasswalter / Nachlasspfleger, der mit der Abwicklung des Erbfalls beauftragt wird. Hier jedoch waren die Erbberechtigten nicht bekannt, so dass der Nachlasswalter einen internationalen Erbenermittler einschaltete – der für den französischen Part seiner Arbeit einen Übersetzer und Dolmetscher benötigte.

Nach Abschluss der „Detektivarbeit“ des internationalen Erbenermittlers verfasst dieser Schreiben an die potenziellen Erben, in denen ihnen der Sachverhalt erläutert wird. Häufig kennen die Erben den Erblasser kaum oder gar nicht und rechnen nicht im Entferntesten mit einer Erbschaft, so auch hier. 

Unterschied zwischen einem Erbenermittler und einem Betrüger

Mit der Angabe seiner nachprüfbaren Daten in seinem Schreiben, abgefasst in fehlerfreiem Deutsch, das in ebenso fehlerfreies Französisch übersetzt wurde (nämlich von mir) grenzt sich der Erbenermittler (ein Volljurist) von all jenen Scharlatanen ab, deren „Nachrichten“, verfasst in radebrechendem Englisch oder Deutsch, sicherlich schon jeder von uns in seinem Postfach vorgefunden hat: das Versprechen auf ein Millionenerbe, verbunden mit der Aufforderung, „nur“ noch ein paar tausend Euro „Verwaltungskosten“ zu begleichen.

Bereits in seinem Schreiben weist der – seriöse – Erbenermittler darauf hin, dass der Erbe keinerlei Kosten aus seinem eigenen Vermögen zu bestreiten hat: Jegliche Kosten, Auslagen, Honorare im Zusammenhang mit der Abwicklung des Erbfalls werden nämlich von der Erbmasse, dem Vermögen aus dem Nachlass, bestritten. Auch die Reisespesen der Erben in die Kanzlei des Erbenermittlers werden ebenso wie mein eigenes Honorar (und die Vergütung des Nachlasspflegers sowie des Erbenermittlers selbst) aus den Mitteln des Nachlasses bezahlt.

Gesetzliche Erbfolge in Deutschland

Ist kein Testament oder keine sonstige Verfügung von Todes wegen / kein Erbvertrag vorhanden, tritt in Deutschland die gesetzliche Erbfolge ein. Hierbei wird unterschieden zwischen den 

  • Erben 1. Ordnung
    Das sind der eventuell überlebende Ehegatte sowie die Abkömmlinge des Erblassers. Sind keine Erben dieser Ordnung vorhanden, kommen die
  • Erben der 2. Ordnung
    zum Zuge: Es handelt sich um die Eltern des Erblassers sowie dessen Abkömmlinge. Sind keine Erben dieser Ordnung vorhanden, sind erbberechtigt die
  • Erben der 3. Ordnung,
    nämlich die Großeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge.
  • Erben der 4. Ordnung
    sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge.

Diese kurze Übersicht verdeutlicht die Schwierigkeiten beim Auffinden von Erben, insbesondere mit Auslandbezug, wenn keinerlei Verfügung von Todes wegen seitens des Erblassers hinterlegt worden ist.

Aufklärung des Erben

In der Kanzlei angekommen, warten bereits der aus Frankreich angereiste Erbe und ein Fachanwalt auf mich.

Dem Erben wird zunächst Seite für die Seite die Aufstellung der einzelnen Posten des Nachlasses vorgelesen – und dann von mir übersetzt. Dabei beginnt man mit den Aktiva, gefolgt von den Passiva. Dieser Aufstellung beigefügt sind die entsprechenden Nachweise über Bankguthaben, vorgefundenes Bargeld, bereits angefallene Rechnungen, usw. Eine derartige Vermögensaufstellung muss absolut transparent und nachvollziehbar sein, um dem Erben seine wichtigste Entscheidung zu ermöglichen: Nimmt er das Erbe an oder schlägt er es aus?

Zu seinem großen Erstaunen hat der Erbe nämlich diese Wahl. Übersteigen die Passiva die Aktiva, sodass der Antritt des Erbes für den Erbberechtigten ein Verlustgeschäft wäre, ist es klüger, ein Erbe auszuschlagen. Das ist hier aber nicht der Fall.

Fachbegriffe

Auch Erben will gelernt sein. Ich war (und bin es immer noch) sehr stolz darauf, sämtliche Fachbegriffe aus der deutschen Sprache in die jeweiligen Fachbegriffe der französischen Sprache zu übersetzen. Das ist natürlich nicht möglich, ohne die entsprechenden Zusammenhänge zu kennen.

Der Erbe selbst ist ein „Neuling“ auf diesem Gebiet – und versteht einen der Fachbegriffe nicht. Auch wenn ich es kann, darf ich als Dolmetscher ihm diesen Fachbegriff nicht erklären: „Der Dolmetscher leiht dem Sprecher seine Stimme“ – damit erschöpft sich seine Rolle. Ich gebe die Frage des Erben daher an den Fachanwalt weiter, der ihm erläutert, was die „Abgabe einer Willenserklärung“ eigentlich ist. Und der Rechtsanwalt fragt sicherheitshalber noch einmal nach, ob der Mandant die Erläuterung auch wirklich verstanden hat.

Bei der Gelegenheit fällt dem Erben auf, dass Rechtsanwälte im Besonderen und Juristen im Allgemeinen (auch der später anwesende Notar) in Deutschland mit „Dr. [Vorname + Nachname] angesprochen werden (sofern sie einen Doktortitel erworben haben, was natürlich nicht immer der Fall ist.) In der Tat ist es in Frankreich so, dass der Doktortitel nur bei Ärzten erwähnt wird: „Monsieur le Docteur [Nachname]“, so dass das im Deutschen übliche „med.“ hinter dem Dr. entfällt, da es zur Unterscheidung (z. B. zu einem „Dr. iur.“) nicht notwendig ist.

Allerdings bedenkt man Rechtsanwälte und Notare in Frankreich mit dem (auch heute noch unveränderlichen) Titel „Maître“ und präzisiert nach dem Nachnamen den Beruf: „Maître [Vorname + Nachname], Notaire [Notar]“ oder „Maître [Vorname + Nachname], Avocat à la Cour [Rechtsanwalt]“

Erbscheinbeantragung beim Notar

Auf geht’s zum Notar. Es ist nämlich so, dass es nach dem deutschen Erbrecht genügt, wenn ein einziger der Erben einen Erbschein beantragt, damit alle anderen Erben ebenfalls ihren Erbschein erhalten. Würde der – französische – Erbe hier und heute keinen Antrag stellen, müsste jeder seiner Miterben für sich einen Erbschein beantragen, was mit entsprechend höheren Kosten verbunden wäre.

Dieser Antrag auf einen Erbschein wird dem Nachlassgericht vom Notar übergeben. Das Nachlassgericht prüft die Übereinstimmung der Daten des Antragstellers mit den ihm zur Verfügung stehenden Angaben über den Erben. Stellt es die Übereinstimmung fest, gibt es die jeweiligen Erbscheine aus.

Stehgreifübersetzung

Der Notar übergibt mir den von ihm vorformulierten Erbscheinantrag. Diesen Antrag liest er selbst Seite für Seite vor, danach übersetze ich den Text Seite für Seite. Technisch gesehen ist das für mich als Übersetzerin eine Zwischenform zwischen dem reinen Übersetzen und dem Dolmetschen: mündlich übertragen wird ein schriftlich vorgegebener Text, und zwar ohne umfangreiche Vorbereitung, also „aus dem Stehgreif“. Ich bin froh, dass ich diese Art von anspruchsvoller Übung bei meiner Ausbildung tagtäglich trainiert habe, denn sie war Bestandteil meiner mündlichen Prüfung.

Unterschrieben wird dieser Antrag dann von dem Erben selbst, dann von mir und zum Schluss dem amtierenden Notar. Jetzt kann das Dokument dem Nachlassgericht zur weiteren Bearbeitung übergeben werden.

Zusammenheften von Vertragsseiten – Unterschiede Frankreich / Deutschland

Zurück in der Anwaltskanzlei, werden dem Erben noch einige Zusatzleistungen angeboten, die er per Vertrag optional in Anspruch nehmen kann, wie z. B. die Abwicklung der in Deutschland fällig werdenden Erbschaftssteuer.

Dabei fällt auf, dass in Deutschland nicht jede Seite eines Vertrages mit einem Kurzzeichen versehen wird, wie das in Frankreich der Fall ist, sondern nur die letzte Seite unterschrieben wird. Den nachträglichen – betrügerischen – Austausch einer Seite des Vertrages verhindert man in Frankreich damit, dass alle Parteien rechts unten auf jede Seite ihr Kurzzeichen setzen. In Deutschland wird ein derartiger Betrug mithilfe einer Lochung aller Seiten am linken Rand verhindert, durch die ein Garn gezogen wird. Dieses Garn wird dann anhand eines Siegelsterns verklebt

Hiervon ausgenommen sind privatschriftliche Verträge, bei denen auch in Deutschland jede Seite unten rechts paraphiert wird, um einen nachträglichen Austausch von Seiten zu verhindern.

Mein Einsatz ist beendet, ich springe hastig ins Taxi (da ich eine halbe Stunde Verspätung habe…), der Taxifahrer zeigt sein ganzes Können (bis heute bin ich ihm dankbar dafür!), so dass ich meinen Flug noch erwische. Das war ein erfolgreicher Tag – ich konnte dazu beitragen, einem ahnungslosen Erben eine frohe Botschaft zu überbringen, mit der er überhaupt nicht gerechnet hatte.

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