Fortbildung Deutsche Rechtssprache für DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen

von | 17. Mai 2016

Ein Übersetzer, der sich nicht ständig weiterbildet, gerät schnell ins Hintertreffen. Und so war ich hocherfreut, als das Oberlandesgericht Schleswig mir bei meinem Umzug von Frankfurt am Main / Karben nach Norderstedt (Schleswig-Holstein) dieses Seminar nicht nur anbot, sondern auch als Voraussetzung für meine allgemeine Ermächtigung als Übersetzerin für die englische Sprache vor dem OLG Schleswig sogar vorschrieb.

Es ging um ein 2-tägiges Seminar, in dem Übersetzern und Dolmetschern das deutsche Rechtssystem sowie die Besonderheiten der deutsche Rechts- und Behördensprache nahe gebracht wurden. Abgeschlossen wurde diese Fortbildung durch eine schriftliche und mündliche Prüfung, deren Bestehen eine der Grundvoraussetzungen für die Anerkennung als (allgemein) ermächtigter Übersetzer für die jeweilige Fremdsprache ist. Und die Beglaubigung einer Übersetzung (die in Wirklichkeit „Bestätigung“ heißt, aber dazu komme ich noch) ist ohne diese Anerkennung nicht möglich. Auch gewährleistet eine derartige Anerkennung eine gewisse Professionalität der Übersetzungen des jeweiligen auf diese Weise geprüften Übersetzers.

Der Referent des Seminars ist selbst ein erfahrener Gerichtsdolmetscher und Gerichtsübersetzer, der gleichzeitig über eine Ausbildung als Rechtsanwalt verfügt und beide Berufe seit Jahren in Deutschland ausübt: Ahmet Yildirim.

Nach der Anmeldung erhielt ich ein ca. 70-seitiges Skript zur Vorbereitung auf das Seminar mit der Empfehlung, außerdem folgende 2 Bücher durchzuarbeiten:

Ulrich Daum
Gerichts- und Behördenterminologie

BDÜ Fachverlag
ISBN: 978-3-938430-49-1
Ca. 150 Seiten

Ulrich Daum, Ramón Hansmeyer
Arbeitsbuch zur Gerichts- und Behördenterminologie

BDÜ Fachverlang
ISBN: 978-3-938430-39-3
Ca. 130 Seiten

Ich bestellte die Bücher und las und lernte und machte mir Notizen und fragte mich langsam, worauf ich mich da bloß eingelassen hatte. Ob ich diese Prüfung jemals bestehen würde? Ich hatte insgesamt 4 Jahre in internationalen Wirtschaftskanzleien gearbeitet und übersetze inzwischen seit mehr als 20 Jahren Klageschriften, Schriftsätze, Urteile, einstweilige Verfügungen, Gerichtsbeschlüsse, Verträge, Versicherungspolicen vom Englischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Englische (sowie vom Französischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Französische und sogar „quer“ wie einer meiner Kunden sagt, also vom Englischen ins Französische und vom Französischen ins Englische), aber dennoch – das zu erarbeitende Volumen und das fachliche Niveau erschienen mir doch eine Herausforderung zu sein. Und das neben der „normalen Arbeit“.

Ich lernte in jeder freien Minute. Im Flugzeug auf dem Weg zum Kunden. Abends im Hotel (und das in Paris!). Nach der Arbeit, am Wochenende, zwischen zwei Aufträgen.

Und dann war es endlich so weit, der Kurs begann. Wir waren 10 Teilnehmer, Dolmetscher und Übersetzer aus aller Herren Länder, davon „nur“ 2 Deutsche, eine bunte Mischung aus Muttersprachen und Fachgebieten und Jahren an Berufserfahrung.

Der Kurs sollte 3 Bereiche des deutschen Rechts behandeln:

  • Zivilrecht
  • Verwaltungsrecht
  • Strafrecht

Ahmet Yildirim beginnt mit dem Zivilrecht und warnt uns: Es sei der langweiligste Bereich des deutschen Rechts überhaupt. Sagt er. Und dann „verpackt“ er das Thema in eine Geschichte, in der 2 Kursteilnehmer die Kontrahenten eines hypothetischen Rechtsstreits sind. Begriffe wie „Flucht in die Säumnis“ oder „Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand“ werden auf eine Weise erläutert, die den anderen Kursteilnehmern und mir selbst im Gedächtnis bleiben werden. Zwischendurch wird viel gelacht, es können Fragen gestellt werden, es bleibt Zeit für persönliche Notizen.

Danach ist es Zeit für das Verwaltungsrecht. Besprochen wird der Unterschied zwischen natürlichen und juristischen Personen.

Was ist ein Bürger? (Eine natürliche oder juristische Person mit Wohn- oder Firmensitz in der Bundesrepublik Deutschland).

Eine natürliche Person ist ein Mensch und das Dasein eines Menschen beginnt direkt nach seiner Geburt (dann, wenn er, wie ein Mitschüler von mir scherzhaft bemerkte, seine Steuernummer bekommt…).

Definition des Staates, eines Verwaltungsaktes (belastende und begünstigende Verwaltungsakte), Rechtsvorschriften des Verwaltungsaktes, Rechtsbehelfe, Klageverfahren, Maßnahmen der Behörden – mir brummt der Kopf.

Aber auch hier schafft es unser Lehrer, die Dinge spannend zu gestalten. Nur ein einziges Mal in meinem Leben – im Geschichtsunterricht in der Mittelstufe – hat es ein Lehrer geschafft, dass alle seine Schüler ausnahmslos wie gebannt an seinen Lippen hingen und der fesselnden Geschichte zuhörten, die er zum Besten zu geben hatte. Man hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören…

Das ist auch der Grund, warum ich mich bis heute sowohl an die Trojanischen Kriege als auch daran erinnern kann, dass eine Verwaltungsmaßnahme einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein muss.

Wir gehen essen, alle zusammen.

In dem türkischen Restaurant ergibt sich ein netter Erfahrungsaustausch mit den Kollegen oder angehenden Kollegen, jeder erzählt von seinem Land, den kulinarischen Besonderheiten, seinen eigenen Plänen. Ich freue mich, eine nette Gruppe von Gleichgesinnten gefunden zu haben, wir tauschen Visitenkarten aus.

Auf geht’s in die nächste Runde.

Es geht um das Strafrecht.

Am Beispiel eines Mordfalls lernen wir, dass bestimmte Merkmale gegeben sein müssen, damit aus einem einfachen Tötungsdelikt ein Mord wird. Und für einen Mord gibt es weder mildernde Umstände noch irgendeinen Strafnachlass.

Welche Unterschiede gibt es zwischen einem Beschuldigten, einem Angeschuldigten und einem Angeklagten? Bei meinen Übersetzungen kommen diese Begriffe laufend vor und ohne die genaue Kenntnis der Hintergründe ist eine korrekte Übersetzung nicht möglich. Ein Wörterbuch, und sei es online, das diese Unterschiede, die jeweils aus dem Vorverfahren, dem Zwischenverfahren und dem Hauptverfahren herrühren, erläutert, habe ich nämlich noch nicht gefunden.

Ganz wichtig: Erläutert wird auch die rechtliche Stellung des Dolmetschers und Übersetzers in allen 3 Bereichen – Zivilrecht, Verwaltungsrecht und Strafrecht. Welche Rechte und vor allen Dingen welche Pflichten hat der Übersetzer und Dolmetscher? Wo beginnt eine Befangenheit? Wie damit umgehen?

Und im Anschluss daran geht es um den Notar. Der ist im Gegensatz zu einem Übersetzer und / oder Dolmetscher (selbst wenn dieser allgemein ermächtigt oder vereidigt ist) eine Amtsperson, sofern er als Beliehener handelt. Und eine Amtsperson darf Dokumente, z. B. Kopien beglaubigen. Das darf der Übersetzer aber nicht. Er darf nur bestätigen, dass die von ihm angefertigte Übersetzung dem Inhalt des Ausgangstextes entspricht und richtig und vollständig bzw. auszugsweise anhand des Originals oder einer Kopie oder einer (von einer Amtsperson) beglaubigten Kopie angefertigt worden ist.

Dieser Irrtum – die Verwechslung zwischen „Beglaubigung“ und „Bestätigung“ – hält sich hartnäckig nicht nur in Kunden- sondern auch in Übersetzerkreisen. Gerade vor kurzem bat mich eine Kundin, meine Überschrift über einer Übersetzung doch von „bestätigter“ Übersetzung in „beglaubigte“ Übersetzung abzuändern. Sie war sehr erstaunt zu erfahren, dass ich das gar nicht darf…

Nach diesen 2 Tagen Intensivunterricht hatten wir 1 Woche Zeit, uns auf die Prüfung vorzubereiten. Dazu dienten unsere Aufzeichnungen sowie die o. g. Bücher.

Und dann kam der schicksalsträchtige Tag der Prüfung. Wir hatten vormittags noch Gelegenheit, die letzten Fragen zu stellen, es folgte eine kurze Wiederholung der verschiedenen Fachgebiete. Und dann folgte der schriftliche Teil der Prüfung. Innerhalb von 3 Stunden mussten zahlreiche Fragen beantwortet werden, um die Prüfung zu bestehen.

Nach den 3 Stunden und einer Verschnaufpause von ca. 10 Minuten wurden die Teilnehmer für die mündliche Prüfung in 2 Gruppen aufgeteilt.

In dieser mündlichen Prüfung wurden den jeweiligen Prüflingen Fragen gestellt, für die es mehrere Antworten gab. Allerdings sollte jeder Kandidat jeweils immer nur 1 Antwort geben, so dass sein Nachbar die nächste mögliche Antwort abzugeben hatte.

Das bedeutete im Klartext, dass sich alle Prüflinge während der gesamten mündlichen Prüfung auch dann absolut konzentrieren mussten, wenn sie gerade nicht an der Reihe waren. Wie anstrengend diese Art von Prüfung war, wurde mir erst hinterher klar, als ich Schwierigkeiten hatte, die Treppe herunterzugehen…

Und danach folgte der eigentlich schwierigste Teil der ganzen Übung – nämlich die 2 Wochen Wartefrist bis zum Eingang des Bescheids ob oder ob nicht… Ahmet Yildirim hatte uns mitgeteilt, dass er uns entweder ein Zeugnis mit den Noten „mit Erfolg bestanden“, „mit gutem Erfolg bestanden“ oder „mit sehr gutem Erfolg bestanden“ zuschicken – oder uns anrufen würde…

Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, zuckte ich zusammen… Aber nein, es waren meine Mit-Studenten, deren Visitenkarten ich ausgetauscht hatte: „Hast DU schon etwas von Ahmet gehört? ICH habe noch keine Neuigkeiten…“ Ich glaube, das waren die zwei längsten Wochen meines Lebens… Der gefürchtete Anruf kam aber nicht. Stattdessen lag nach den zwei Wochen ein DIN-4-Umschlag im Briefkasten. Der Inhalt:

Zeugnis der Teilnahme am Seminar Rechtssprache für Übersetzer/innen und Dolmetscher/innen

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