06.02.2015, einer meiner Stammkunden schickt mir eine Übersetzung, eine pdf-Datei über 38 Seiten, zu übersetzen vom Französischen ins Deutsche. Es handelt sich um ein internationales Rechtshilfeersuchen des Staates Luxemburg, gerichtet an ein deutsches Landgericht. Ich jubiliere, denn Jura ist mein Lieblingsfach, und diese Drogengeschichte verspricht ein paar spannende Abende. Das ist doch besser als jeder Krimi im Fernsehen!
Ich mache mich an die Arbeit und beginne zunächst einmal damit, die Zeilenzahl zu überschlagen, was bei pdf-Texten nicht so einfach ist. Sie lassen sich nämlich nicht immer problemlos in ein Format, z. B. Word, konvertieren, und ohne Konvertierung ist die Ermittlung der Zeilenzahl ein Glücksspiel. Die Konvertierung gelingt, auch wenn ein Großteil der Seiten in der Schriftgröße 8 verfasst ist, so dass das Ergebnis für mich zum Überschreiben nicht verwertbar ist (da zu klein). Macht nichts, ich lege eine neue Word-Datei an. Oh, es sind 3.375 Normzeilen (1 Normzeile = 55 Anschläge mit Leerzeichen). Ich rechne 35 Normzeilen pro Seite (es gibt Übersetzer, die gehen von 30 oder sogar nur 25 Normzeilen pro Seite aus), also habe ich es insgesamt mit mehr als 96 Seiten zu tun.
Wenn ich vorsichtig bin, rechne ich 15 Seiten pro Tag, also insgesamt ein Aufwand von 6,5 Tagen, schließlich will die Übersetzung nach „vollbrachter Tat“ auch sorgfältig Korrektur gelesen werden und die Korrekturen müssen in den Text eingegeben werden. Die Lieferung erfolgt in diesem Fall per E-Mail, um einen Versand per Postschnecke brauche ich mir in diesem Fall – ausnahmsweise – keine Sorgen zu machen. Prima, ich habe praktisch eine Woche eines spannenden Krimis vor mir!
… Und zweitens kommt es häufig anders, als man denkt…! Am nächsten Tag ruft mich die Kundin an. „Hm, das Gericht hätte die Übersetzung eigentlich gerne schon vorher, geht es nicht früher…?“ Ich verspreche, mein Bestes zu geben. Schließlich ist der Kunde König.
Und jetzt verstehe ich, was meine Übersetzer-Freundin Tina mit „wie im Trance übersetzen“ meint: Ich mache mich an die Arbeit, konzentriere mich auf den Text (die Drogengeschichte war wirklich spannend, schade, dass das Berufsgeheimnis mich daran hindert, sie hier zum Besten zu geben!) und – übersetze. Ich vergesse alles, was um mich herum geschieht, vergesse Datum und Uhrzeit, nur mein Mann ruft mich regelmäßig zum Essen und mahnt gegen Mitternacht, ich solle jetzt lieber schlafen gehen. Aber diese Übersetzung fesselt mich.
Kleiner Tipp: Bei einem derartigen Termindruck NICHT an den Abgabetermin denken, (das lenkt nur ab) sondern NUR an die Übersetzung an sich.
Und – ich werde nach 3 Tagen fertig! Nie zuvor hätte ich geglaubt, dass so etwas ohne Qualitätseinbuße möglich wäre! Aber ich bin mir meiner Sache absolut sicher, ich habe mein Werk jeden Abend sorgfältig Korrektur gelesen und alle Verbesserungen konzentriert eingegeben.
Danach bin ich um bestimmt 5 cm gewachsen (hoffentlich in die Höhe und nicht in die Breite…)!