Der Richter gratuliert mir und ich verlasse strahlend das Büro

von | 25. Feb 2016

Heute ist ein großer Tag! Ich sitze im Auto und fahre zum Landgericht Kiel, um mich endlich als Übersetzerin für die englische Sprache allgemein ermächtigen zu lassen. Damit kann ich meinen Kunden jetzt auch für die englische Sprache bestätigte Übersetzungen (Nein, es heißt NICHT beglaubigte Übersetzung!) liefern, und zwar in allen Sprachrichtungen: vom Englischen ins Deutsche, vom Deutschen ins Englische (ja, an der Uni Heidelberg wurde uns gesagt, man soll nicht in die Fremdsprache übersetzen, aber ich habe das mehr als 10 Jahre für meinen früheren Arbeitgeber getan, und zwar sowohl bei juristischen Fachübersetzungen als auch bei technischen Übersetzungen) und – ganz wichtig – auch vom Englischen ins Französische und vom Französischen ins Englische. Also von einer „Fremdsprache“ in die andere – laut meiner Ausbildung ein absolutes „No Go“. Nur – inzwischen sind diese „Fremdsprachen“ keine „Fremdsprachen“ mehr für mich…

Ich habe festgestellt, dass gerade bei Gerichtssachen, wie etwa internationalen Rechtshilfeersuchen, Beweismitteln in Strafsachen oder bei Zivilprozessen, Unterlagen in verschiedenen Sprachen verfasst sein können – mitunter sogar auf einer und derselben Seite! Das bedeutet, dass hier u. U. zwei Übersetzer an die Arbeit gehen müssen, jeder für seine Sprache. Das ist zeitaufwendig und kostspielig. Damit ist nun Schluss!

Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, als ich vor der Tür des Richters stehe, der meine allgemeine Ermächtigung aussprechen soll. Immerhin war es ein weiter Weg bis dorthin – allein die Übersetzerprüfung für die englische Sprache, verbunden mit Kenntnissen der Landeskunde, reichte nicht aus. Die wichtigste Zusatzqualifikation ist der „Nachweis der sicheren Kenntnisse der deutschen Rechts- und Behördensprache“. Diese Kenntnisse werden in einem Seminar erworben und anhand einer fast eintägigen Prüfung (schriftlich und mündlich am selben Tag) nachgewiesen.

Weiterhin benötigte ich ein polizeiliches Führungszeugnis, Kundenreferenzen als Nachweis einer mindestens 5-jährigen unbeanstandeten Tätigkeit als Übersetzerin für die englische Sprache, eine Erklärung über das Nicht-Vorhandensein von Verurteilungen, das Nicht-Vorhandensein von Einträgen im Schuldnerverzeichnis, meine Erreichbarkeit und meinen Lebenslauf. Die fachliche Qualifikation eines Übersetzers – die eigentlich selbstverständlich sein sollte – ist nur eine Basis. Spätestens dann, wenn es um die allgemeine Ermächtigung, also die Befähigung geht, die Vollständigkeit und Richtigkeit der eigenen Übersetzung und deren Übereinstimmung mit dem Ausgangstext zu bestätigen, spielen auch die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit eine große Rolle.

Die Tür geht auf. Ein freundlicher Herr bittet mich herein, überprüft meine Personalien, erklärt mir noch einmal die Strafbarkeit einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht und einer unbefugten Verwertung fremder Geheimnisse, danach gebe ich zunächst mündlich und dann mit meiner Unterschrift folgende Erklärung ab:

„Ich verpflichte mich, die übertragenen Aufgaben gewissenhaft, selbst und unparteiisch zu erfüllen, Verschwiegenheit zu bewahren und Tatsachen, die mir bei meiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, weder zu verwerten noch Dritten mitzuteilen.“

Der Richter gratuliert mir und ich verlasse strahlend das Büro. – Zuhause angekommen, klingelt das Telefon. Eine neue Kundin sucht händeringend ganz dringend Übersetzungen deutsch / englisch und französisch / englisch – „mit Stempel“. Biete ich vielleicht beides an? Es sind juristische Texte… Ja, biete ich, seit heute. Ich muss nur noch schnell den Stempel bestellen…

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